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„Es ist nicht bequem, Gefühle wissenschaftlich zu bearbeiten. Man kann versuchen, ihre physiologischen Anzeichen zu beschreiben. Wo dies nicht angeht, bleibt doch nichts übrig, als sich an den Vorstellungsinhalt zu halten, der sich assoziativ am ehesten zum Gefühl gesellt.“ Sigmund Freud Die Arbeiten über Kinderpsychoanalytische Behandlungen, die Pedro Grosz in diesem Band unter dem Aspekt der grossen Bedeutung, die der Handhabung der begleitenden Elternarbeit dabei zukommt, neu herausgibt, hat er zuerst als Vorträge an den Kinderpsychoanalytischen Tagungen gehalten, die von 1979 bis 2010 jährlich vom Wissenschaftlichen Zentrum für Psychoanalyse (WZ II) der Gesamthochschule Kassel durchgeführt wurden. Die Kontinuität dieser Arbeitstagungen über einen Zeitraum von 30 Jahren und die damit verbundene Gründung der Zeitschrift Arbeitshefte Kinderpsychoanalyse (1982) waren ein Projekt, das der Entwicklung der Kinderpsychoanalyse dienen sollte, die – nach der Vertreibung der Psychoanalyse unter dem Nationalsozialismus – im Nachkriegsdeutschland noch bis Ende der 1970er Jahre kaum wieder Fuss gefasst hatte. Die Mitwirkung von Pedro Grosz an den Kasseler Tagungen und seine in den Arbeitsheften Kinderpsychoanalyse veröffentlichten Vorträge waren bedeutende Beiträge zu diesem Projekt und sind bis heute von grossem Wert als Lehrbeispiele für Kinderpsychoanalytische Behandlungen. Die Falldarstellungen geben einen nicht alltäglichen Einblick in die Art und Weise, wie der Kinderpsychoanalytiker Pedro Grosz in seinen analytischen Behandlungen mit Kindern arbeitet. Das Studium dieser Falldarstellungen kann zusätzlich vertieft werden, wenn der Leser sich auf die Reflexionen in dem Beitrag „Gedanken zur Gegenwart und Zukunft der Kinderpsychoanalyse“ einlässt. Hier nimmt Pedro Grosz eine immer noch aktuelle Standortbestimmung der Kinderpsychoanalyse vor, verbunden mit wichtigen theoretischen Grundannahmen über das sich in Entwicklung befindliche Kind und Folgerungen, die sich daraus für die abweichende Technik der Kinderpsychoanalyse ergeben. Was macht nun die Falldarstellungen in diesem Band so besonders? Sicher sind es Fälle, in denen dem jeweiligen Kind Ausserordentliches widerfahren ist und in denen die analytische Arbeit vor besondere Hausforderungen gestellt war. Aber das, was hier hervor-gehoben zu werden verdient, liegt in der Handhabung der Kinderpsychoanalytischen Behandlungssituationen und darin, dass Pedro Grosz den Leser in einer so eindrucksvollen Weise daran teilnehmen lässt, wie der Psychoanalytiker den Dialog mit dem Kind führt und wie er darum ringt, dass die analytische Arbeit auf dem Wege der Bearbeitung der Widerstände weitergehen kann. Pedro Grosz hat ein untrügliches Gespür dafür, wenn in der Begegnung der analytischen Situation etwas nicht stimmt, was darauf verweist, dass etwas von und in der Übertragung noch nicht verstanden worden ist. Bei Pedro Grosz verdichtet sich dieses Moment in dem Gedanken und dann auch ausgesprochenen Satz: „Ich verstehe (noch) nicht, was los ist!“ Und er macht deutlich, dass er die Hilfe seines Gegenüber braucht, d.h., dass das Kind etwas von sich mitteilen, preisgeben muss, damit das Verstehen schrittweise erweitert werden kann. Pedro Grosz arbeitet in seinen Falldarstellungen einen sehr klaren, an Beispielen geschärften Begriff des analytischen Verstehens heraus. Es ist am Analytiker, die Widerstände und die emotionalen Konflikte aus den Mitteilungen des Kindes in Worte zu fassen, aber das können immer nur Versuche sein, die auf die Antwort des Kindes angewiesen sind. Aus diesen muss er ablesen, ob die analytische Arbeit einen Schritt vorangekommen ist oder eben nicht. Die analytische Arbeit von Pedro Grosz beinhaltet auch das Risiko, dass der Analytiker Fehler machen kann, etwa wenn er mit seiner Ungeduld und seinen Worten das Kind verletzt und dann einen Weg finden muss, wie er den Dialog wieder in Gang bringen kann. Gerade darin liegt ein besonderes Verdienst der Falldarstellungen von Pedro Grosz, dass er den Leser an solchen Passagen seiner Kinderpsychoanalytischen Behandlungen ebenso teilhaben lässt wie an den gelungenen. Mit grosser Beharrlichkeit fordert Pedro Grosz ein, dass es in der psycho-analytischen Arbeit einen Spielraum geben muss, der sich jeweils nach den Umständen des individuellen Falles bemisst, um an dem „Noch-nicht-Verstandenen“ arbeiten zu können. Das Insistieren darauf ist bestimmend für die Handhabung der Elternarbeit und den grossen Stellenwert, den Pedro Grosz den Gesprächen mit den Eltern gibt. Das bedeutet oft einen schwer zu akzeptierenden Aufschub für den dringend erscheinenden Behandlungsbeginn mit dem Kind. Aber die Falldarstellungen können zeigen, wie berechtigt dieser Ansatz ist. Auch darin haben die Kinderpsychoanalytischen Lehrbeispiele von Pedro Grosz ihren grossen Wert. Es ist sehr zu begrüssen, dass sie mit der Herausgabe in diesem Band wieder neu zugänglich werden. * Ich möchte an dieser Stelle an die produktive Zeit und die Geschichte des Arbeitsbereichs Kinderpsychoanalyse an der Gesamthochschule Kassel erinnern, die durch das weitgehende Verschwinden der Psychoanalyse von der Hochschule heute fast schon vergessen ist und damit auch an das Verdienst, das der holländische Kinderanalytiker Sjef Teuns daran hatte, würdigen. Sjef Teuns ist am 11. August 2016 im Alter von 90 Jahren gestorben. An der 1971 gegründeten Gesamthochschule Kassel herrschte in den ersten Jahren ein sehr liberales Reformklima, in dem eine weitgehende Neugestaltung der Ausbildungsgänge in den Human- und Gesellschaftswissenschaften möglich schien. Auf einen der ersten Lehrstühle für die Lehrerbildung ist ein Psychoanalytiker, Hans Kilian, berufen worden. Der geschichtsbewusste Psychoanalytiker Kilian knüpfte an die Entwicklungen der Psychoanalyse in den 1920er- und 30er-Jahren an und hat mit grossem Einsatz und Überzeugungskraft dafür gesorgt, dass weitere Lehrstühle für Psychoanalytiker im Ausbildungsbereich für soziale Berufe eingerichtet wurden. Dem Lehrstuhl für Kinderpsychoanalyse hat er dabei die höchste Priorität gegeben, zum einen, weil er psychoanalytische Grundlagen für viele Bereiche der praktischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen für unverzichtbar hielt und zum anderen, weil er überzeugt war, dass die Kinderpsychoanalyse – wenn sie erst im Ausbildungs- und Forschungsbereich verankert wäre – wesentliche Beiträge zur Theorie der Psycho-analyse, insbesondere der psychoanalytischen Entwicklungslehre leisten würde. Da es für die Besetzung des Lehrstuhls für Kinderpsychoanalyse in Deutschland seinerzeit keinen geeigneten Bewerber gab, wurde der Holländer Sjef Teuns gewonnen. Er hat im Sommer 1975 in Kassel zunächst eine Gastprofessur übernommen. Zwar zeigten sich schnell erste Widerstände: die Gastprofessur wurde nach einem Semester (angeblich aus finanziellen Gründen) nicht verlängert. Aber Teuns hatte innerhalb des halben Jahres bereits nachhaltige Impulse freizusetzen. So liess sich eine Gruppe von Studierenden, die unter der Leitung von Sjef Teuns die Einzelbetreuung von entwicklungsgehemmten Kindern übernommen hatte, bei denen viel in Bewegung gekommen war, nicht davon abbringen, weiter die Supervision bei Teuns einzufordern. Ebenso wie die Studierenden wollten Kinder- und Jugendlichen-Therapeuten und Kinderärzte aus der Region, die bei Sjef Teuns' Kurse besucht und Supervision in Anspruch genommen hatten, nicht mehr auf die Orientierung und Unterstützung, die sie für ihre Praxis durch den psychoanalytischen Lehrer erfahren hatten, verzichten. Durch die grosszügigen Mittel eines in Kassel angesiedelten „Modellversuchs für Soziale Studiengänge“; der die Entwicklung innovativer Ausbildungsformen zur Aufgabe hatte, war es möglich, Einladungen an Sjef Teuns zu Vorträgen nach Kassel und Fahrten der Studierenden nach Amsterdam sowie auch Exkursionen mit Studenten zu Reformprojekten psychoanalytischer Sozialarbeit, die Sjef Teuns in Holland initiiert hatte, zu finanzieren. Damit konnte eine – wenn auch immer wieder unterbrochene – Zusammenarbeit aufrechterhalten werden. Sjef Teuns’ hohe Wertschätzung der persönlichen Begegnung sowie sein Anspruch einer offenen, kritisch reflektierten
Kategorie: Books Hersteller: Verlagshaus Seidel & Schütz
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